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Was sind Menschenrechte?
Jeder Mensch hat allein aufgrund seines Menschseins unveräusserliche und universelle Rechte. Diese Rechte sind unabhängig von Herkunft, Kultur, Geschlecht oder sozialen Verhältnissen und dienen dem Schutz der Würde, Freiheit und Gleichheit aller Menschen.
Das Konzept der Menschenrechte beruht auf folgenden Grundannahmen:
Jeder Mensch ist Träger der Menschenrechte. Das einzige Kriterium dafür ist das biologische Menschsein.
Menschenrechte sind fundamental und bilden die Grundlage einer liberalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft.
Staaten spielen eine entscheidende Rolle in der Verwirklichung der Menschenrechte, unter anderem durch die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für deren Durchsetzung. Nicht nur Staaten tragen die Pflicht, die Menschenrechte zu schützen; auch Unternehmen haben die Verantwortung, die Menschenrechte zu achten.
Menschenrechte haben einen Anspruch auf Universalität: Sie gelten überall, jederzeit und für alle. Jeder Mensch hat Anspruch auf ihre Verwirklichung, unter allen Umständen.
Einige Gruppen geniessen gruppenspezifische Menschenrechte (etwa Frauenrechte, Kinderrechte oder Rechte von Menschen mit Behinderungen). Solche spezifischen Rechte stehen nicht im Widerspruch zur Universalität der Menschenrechte, sondern konkretisieren deren Wirksamkeit. Sie berücksichtigen unterschiedliche Lebensbedingungen und strukturelle Ungleichheiten und sollen den Schutz und die Gleichstellung marginalisierter Gruppen fördern.
Die Idee, dass Menschenrechte überall und für alle gelten, ist umstritten. Der Anspruch auf universelle Gültigkeit steht im Gegensatz dazu, dass Menschenrechte immer auch vom jeweiligen geschichtlichen, kulturellen und politischen Umfeld geprägt sind.
Menschenrechtliche Ansprüche
Aus Menschenrechten ergeben sich drei Arten von Ansprüchen des Individuums gegenüber dem Staat:
Abwehransprüche: Schutz vor Eingriffen (z. B. Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit).
Schutzansprüche: Verpflichtungen, Individuen aktiv zu schützen (z.B. Recht auf Schutz vor Diskriminierung)
Leistungsansprüche: Gewähren Ansprüche auf Leistungen oder Abläufe (z. B. Recht auf ein faires Verfahren).
Begründungen für Menschenrechte
Oft erscheinen Menschenrechte als selbstverständlich, doch ihre Begründung bleibt umstritten. In der Philosophie gibt es verschiedene Ansätze, um Menschenrechte zu legitimieren oder zu begründen. Warum haben Menschen, in Hannah Arendts berühmten Worten, das «Recht, Rechte zu haben»?
Es gibt vier philosophische Denkrichtungen, die versuchen, Menschenrechte auf theoretischer Ebene zu erklären: Naturrechtstheorien, Vertragstheorien, sozialethische Theorien und konstruktivistische Theorien.
Naturrechtstheorien: Menschenrechte gehen aus der Natur des Mensches hervor. Sie werden nicht von Staaten verliehen, sondern sind jedem Menschen von Geburt gegeben und müssen vom Staat geschützt werden.
Vertragstheorien: Menschenrechte existieren, wenn sie irgendwann in einem gesellschaftlichen Vertrag festgelegt werden.
Sozialethische Theorien: Menschenrechte sind Mittel, um eine gerechte und menschenwürdige Gesellschaft zu gestalten. Die Gesellschaft ist moralisch verpflichtet, Bedingungen zu schaffen, unter denen alle Menschen ein gutes Leben führen können.
Konstruktivistische Theorien: Menschenrechte sind soziale Konstrukte, die sich im Laufe der Geschichte verändern und je nach kulturellem Kontext unterschiedlich ausgestaltet sein können. Sie widersprechen damit der Vorstellung einer absolut universellen Gültigkeit.
Der moderne Menschenrechtsbegriff
Die Gründung der UNO mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von 1948 sowie der Verabschiedung der beiden Menschenrechtspakte (UNO-Pakt I und UNO-Pakt II), die 1976 in Kraft traten, gelten in vielerlei Hinsicht als die moderne Geburtsstunde der Menschenrechte.
Die UNO hat den Begriff der Menschenrechte in die internationale Politik und ins internationale Recht getragen. Doch seine Wurzeln sind vielfältig und reichen in der Geschichte viel weiter zurück. Menschenrechtliche Ansätze finden sich in den Religionen, Kulturen und Ideengeschichten der Menschheit, zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten.
Für die Schweiz von grosser Bedeutung ist die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie trat 1953 in Kraft und wurde von der Schweiz im Jahr 1974 ratifiziert. Diese konkretisiert die Menschenrechte in einem europäischen Kontext und macht sie für die Vertragsstaaten rechtlich verbindlich. Auch für die Schweiz hat die EMRK eine hohe rechtliche und gesellschaftliche Bedeutung. Sie beeinflusst die schweizerische Rechtsprechung, insbesondere im Bereich der Grundrechte, und dient als Massstab für Menschenrechtsstandards.
Kritische Perspektiven auf den modernen Menschenrechtsbegriff
Was wir über Menschenrechte zu wissen glauben – ihre Ursprünge, ihre Ideen und ihre Bedeutung – wird nicht von allen geteilt. Drei kritische Perspektiven zeigen, warum der heutige Menschenrechtsbegriff auch Fragen aufwirft.
Postkoloniale Perspektiven
Da der Begriff der Menschenrechte, wie er heute verstanden wird, eng mit der europäischen (und US-amerikanischen) Ideengeschichte verknüpft ist, ist er entsprechend kulturell geprägt. Postkoloniale Theorien kritisieren den historisch gewachsenen Eurozentrismus der Menschenrechte und betonen, dass viele politische und gesellschaftliche Probleme bis heute auf das Erbe des Kolonialismus zurückgehen.
Recht und Rechtssetzung dienten stets auch als Instrumente kolonialer und postkolonialer Macht, und die Menschenrechte bilden da keine Ausnahme.
Zudem weisen postkoloniale Perspektiven darauf hin, dass ehemals kolonialisierte Länder oft aus den Erzählungen zur Entstehungsgeschichte der Menschenrechte, insbesondere der AEMR, ausgelassen werden, obwohl einige massgeblich daran mitgewirkt haben. Stattdessen werden afrikanische und asiatische Staaten häufig als hilfsbedürftig oder als «unzivilisiert» dargestellt.
Nach dem Ersten Weltkrieg übernahmen die Siegermächte frühere Kolonien als Mandatsgebiete unter Aufsicht des Völkerbunds, später der UNO. Offiziell sollten sie auf die Unabhängigkeit vorbereitet werden, tatsächlich behielten jedoch meist die ehemaligen Kolonialmächte die Kontrolle und setzten ihre Vorstellungen von einem «zivilisierten» Leben oft gewaltsam durch. Erst unter dem Druck zivilgesellschaftlicher antikolonialer Bewegungen und neu entstandener unabhängiger Staaten wurde international anerkannt, dass Menschen aus den ehemaligen Kolonien ebenfalls Anspruch auf Menschenrechte haben.
Trotz Dekolonialisierungsbestrebungen im Menschenrechtsdiskurs sind Sprache und Struktur der Menschenrechte bis heute stark von europäischen und nordamerikanischen Vorstellungen geprägt. Ein Beispiel dafür liegt bereits in der Form der Menschenrechte: Die meisten Menschenrechte sind Individualrechte, während kollektive und kommunale Lebensformen dabei kaum berücksichtigt werden. Der Vorwurf des kulturellen Imperialismus, also der weltweiten Durchsetzung westlicher Werte im Namen universeller Rechte, bleibt daher bestehen.
Kapitalismuskritische Perspektiven
Exemplarisch kritisiert der Rechtshistoriker und Menschenrechtsexperte Samuel Moyn dass die Menschenrechte in ihrer heutigen Form kapitalistische Machtverhältnisse nicht infrage stellen und damit kaum wirksam gegen Armut vorgehen.
Die Menschenrechte konzentrieren sich vor allem auf individuelle Freiheiten und den Schutz vor staatlicher Gewalt, während soziale Rechte und ökonomische Gerechtigkeit zu wenig Beachtung finden. Zwar prangere die Menschenrechtsbewegung Leid und Armut an, doch biete sie keine strukturellen Lösungen für Ungleichheit.
In dieser Sichtweise sind die Menschenrechte zu einem ideologischen Begleiter des Neoliberalismus geworden: Sie ersetzen politische Kämpfe um Gleichheit durch moralische Appelle. Seine kapitalismuskritische Perspektive fordert daher, die Menschenrechte um eine substanzielle soziale Dimension zu erweitern, die materielle Gleichheit und wirtschaftliche Gerechtigkeit ins Zentrum rückt.
Antropozentrismuskritische Perspektiven
Menschenrechte gelten nur für Menschen. Deshalb sind sie anthropozentrisch, was so viel bedeutet, wie auf den Menschen ausgerichtet. Aus einer ökozentristischen Perspektive, die nicht den Menschen, sondern das Ökosystem als Ganzes in den Mittelpunkt moralischer und politischer Überlegungen stellt, ist diese Sichtweise problematisch. Sie fragt, warum nur Menschen grundlegende, universelle Rechte haben sollen und nicht auch die gesamte Natur – Flüsse, Wälder oder Berge. Ziel ist die Wahrung der ökologischen Integrität aller Lebenssysteme.
Auch Tierrechtler*innen fordern eine Erweiterung des Rechtsbegriffs über die Spezies Mensch hinaus. Im Gegensatz zur ökozentristischen Perspektive steht hier jedoch nicht das Ganze der Natur im Fokus, sondern die Fähigkeit einzelner Lebewesen, Schmerzen oder Gefühle zu empfinden.
Die Menschenrechte und das Mandat der SMRI
Die Geschichte und Theorie der Menschenrechte zeigen, dass diese nicht statisch sind, sondern sich in einem fortlaufenden Aushandlungsprozess zwischen universellen Ansprüchen und gesellschaftlicher Realität entwickeln. Sie wurzeln in historischen Kämpfen um Freiheit und Gleichheit, werden aber zugleich durch neue Herausforderungen wie soziale Ungleichheit, ökologische Krisen oder postkoloniale Machtverhältnisse immer wieder neu herausgefordert. In diesem Spannungsfeld setzt die Schweizerische Menschenrechtsinstitution SMRI an. Ihr Mandat besteht darin, die universellen Prinzipien der Menschenrechte in der konkreten gesellschaftlichen und rechtlichen Praxis der Schweiz zu stärken und weiterzuentwickeln. Sie fördert das Verständnis, dass Menschenrechte sowohl Abwehrrechte als auch soziale und ökologische Verpflichtungen beinhalten, und dass ihre Verwirklichung stets Teil eines lebendigen demokratischen Prozesses ist.
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